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LINGUA RUSSIAE IMPERII – Anna Veronika Wendland

Zum Studiotalk über Putin bei Phoenix, 02.12.2014
(drei Videos der Sendung auf Phoenix siehe unten in diesem Beitrag)
von Anna Veronika Wendland, Historikerin am Herder-Institut, Marburg

Das war ein aufschlussreiches Zuschauen und auch genug Anschauung für eine Feinanalyse des Informationskrieges rund um den Russland-Ukraine-Konflikt. Der Diskutant Paul Schreyer, der in der Sendung auf Nachfrage seines Kontrahenten, des langjährigen Russland-Korrespondenten Boris Reitschuster, nicht zu verstehen gab, ob er überhaupt Russisch oder Ukrainisch versteht und ob er die beiden Länder aus eigener Anschauung kennt, spielt ganz eindeutig das Spiel der verlogenen Äquidistanz und der absichtlichen Verschleierung von Fakten. Dabei suggeriert er sehr geschickt, er er sei ein leidenschaftsloser Journalist, der beide Seiten betrachtet und zu einem gerechten und objektiven Urteil kommt.

Wenn man aber seine Sprache und seine Argumentationstaktik einmal mit den Methoden einer historischen Quellenkritik analysiert, was ich im folgenden einfach mal versuche, dann wird relativ schnell klar, wo der Wind bei Schreyer herweht. Meine Diagnose: er ist einer der freiwilligen, gutwillig überzeugten oder vielleicht auch bezahlten Fürsprecher der russischen Position und somit nicht nur in seiner ironischen Selbstbezeichnung, sondern im vollen Sinne der Fremdbezeichnung ein echter Putinversteher. Und solche Leute als das zu bezeichnen, was sie sind, ist nicht Ergebnis einer manipulativen Operation unserer Mainstream-Medien, wie Schreyer in der Pose des Tabubrechers behauptet, sondern schlicht – eine Tatsachenfeststellung.

Hier einige Belege – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – aus dem Mini-Handbuch der Desinformation, wie wir sie seit Anfang 2014 immer wieder hören.

Technik Nr. 1: Logiken kreieren. Durchführung: Äquidistanz aufbauen, schiefe Logiken installieren und so das ursprüngliche Unrecht und die Erstursache des Konflikts zwischen Russland und dem Westen minimieren.

Logische Grundstruktur in mehreren (hier nicht wörtlichen) Zitaten: JA / ABER sowie Apfel = Birne. Beispiel: “Putin hat Fehler gemacht, ja, ABER der Westen ist ja genauso schlimm.”
Hier wird absichtlich im Dunkeln gelassen, wer eigentlich im Donbas schießt und die Separatisten (die in Wirklichkeit zu großen Teilen gar keine Ukrainer, sondern aus Russland importierte Akteure sind) mit Waffen versorgt, und wer nur redet und die Ukrainer verbal, ökonomisch, humanitär und am Verhandlungstisch unterstützt. Anders würde “Apfel=Birne” auch nicht funktionieren.
Einwände dagegen (Boris Reitschuster) werden systematisch mit dem Totschlagargument gekontert, die USA hätten ja “dasselbe” dutzendemale gemacht. Hier ist die Logik: “Apfel 2014 = Apfel 19xx, Apfel 2003 etc.”. Nebenbei wird mit dieser Technik den Kritikern Putins automatisch eine Billigung von historischen Beispielen der USA-Völkerrechtsbeugung unterstellt. Ich, die auch auf den Anti-Irak-Kriegs-Demos war, fühle mich hier z.B. überhaupt nicht angesprochen, lieber Herr Schreyer.
Und auch unsere Qualitätsmedien tun alles andere, als dem “Westen” Persilscheine auszugeben – was aber der Titel von Schreyers “Medien-manipulieren-uns”-Buch nahelegt. Allerdings sagen die westlichen Medien schon, was Sache ist. Und wenn Sache nun einmal ist, dass der eine angreift und annektiert und der andere das Opfer ist, dann wäre es schon sonderbar, wenn das nicht auch so formuliert würde. Das ist aber keine “Manipulation”.

Technik Nr. 2: Lingua Imperii Russiae. Durchführung: Russische Sprachregelungen schleichend etablieren.

“Die Angliederung, andere bezeichnen es als Annexion der Krim, ist ja nicht der Anfang des Konflikts…” – schon diese Wortwahl spricht Bände über die wirkliche Position ihres Urhebers. Es ist nämlich sowohl von der Logik des Arguments her als auch von der Wortwahl her, die nur notdürftig mit “audiatur et altera pars” getarnt wird, zu 100 Prozent die russische Logik, die russische politische Sprache und die russische außenpolitische Position, die hier als objektiver Journalismus ausgegeben werden.
Denn den angeblichen Urgrund des Konflikts liefert Schreyer auch gleich mit: der Anfang sei nicht etwa der russische Druck auf die Ukraine seit Sommer 2013 und die dilettantische europäische Reakton, nicht etwa die Eskalation der Staatsgewalt von Russlands Gnaden unter Janukowitsch gewesen, sondern – man höre und staune – der “gewaltsame Putsch in Kiew” und die Installierung einer Regierung durch die Amerikaner [Wiedergabe im Sinngehalt] gewesen. Auch die Erwähnung des Rechten Sektors als angeblicher Hauptinitiator der “Gewalt” darf da nicht fehlen.
Alle Komponenten – die Wortwahl “Putsch” und die Behauptung, die USA hätten ein Marionettenregime installiert, sind unwahr, genauso wie die Behauptung, der “Putsch” sei das Projekt einer ukrainischen Nazigruppe. Boris Reitschuster versuchte das zu erklären, wurde aber vom Moderator abgewürgt. Es handelt sich um keinen Putsch, schon gar keinen gewaltsamen – denn die Gewalt hatte VOR dem “Putsch” stattgefunden, während sie NACH dem Abgang Janukowitsch in Kiew schlagartig aufhörte und sich dann ausschließlich in den von Russland besetzten und annektierten Gebieten der Ukraine fortsetzte. Und auch der immer, wenn man diese unbequemen Wahrheiten anführt, aus dem Hut gezogene Rechte Sektor spielte eine marginale Rolle in dem Geschehen.

Wahr ist vielmehr – und ich führe es hier nochmal aus, weil es in Zeiten systematischer Desinformation hierzulande immer wieder in Vergessenheit gerät: Janukowitsch floh – und zwar mit Vorbereitung, was seine tagelangen Vorkehrungen zur LKW-Ladungs-weisen Wegschaffung seines Eigentums belegen. Womöglich hatte er Angst vor der Opposition, was auch kein Wunder ist nach den blutigen Übergriffen von Polizei und Geheimdiensten auf ukrainische Bürger. Durch die Flucht dokumentierte er auch seine Weigerung, das Abkommen mit den internationalen Vermittlern Steinmeier u. Co. (das übrigens einzig vom russischen Vertreter nicht unterzeichnet wurde) in Gesetze zu gießen, die er hätte unterschreiben müssen.
Erst danach wählte das das verfassungsmäßige, durch freie Wahlen zustandegekommene und beschlussfähige Organ, das dann die Staatsgeschäfte übernehmen muss, das Parlament nämlich, eine Übergangsregierung. Und zwar mit verfassungsändernder Mehrheit, an der auch die Partei des geflüchteten Präsidenten sich beteiligte. Es war also korrekt ausgedrückt der Sturz einer ursprünglich legitimen Regierung, die allerdings durch hundertfachen vorher begangenen Rechtsbruch und tausendfache Menschenrechtsverletzungen das Widerstandsrecht der Bevölkerung herausgefordert hatte und sich selbst delegitimiert hatte – das ja. Aber es war kein “gewaltsamer Putsch”.

Technik Nr. 3: Die Faszination des Relativen. Durchführung: Uneindeutigkeiten behaupten, wo es mit an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeiten gibt, Versionen streuen, wo es Evidenz gibt, und Lüge und Wahrheit bis zur Unkenntlichkeit relativieren.

Alles ist relativ. Schreyer war sehr geschickt bei der Plazierung der besorgten Mahnung, die “Massaker” auf dem Majdan und an MH 17 seien “nicht aufgeklärt” und ohne Aufklärung stünden Manipulationen Tür und Tor offen. Das ist sicherlich die geschickteste Taktik von allen, die ich auch immer wieder aus jenen russischen Quellen höre, die in westlicher Argumentationskunst geschult sind. Nur wird das Argument hier gezielt eingesetzt, um die eindeutig VORHANDENE Evidenz – auch wenn es noch keine Abschlussberichte gibt – zu relativieren und zu delegitimieren. Die russischen “Versionen” über MH 17, dienten einzig und allein dazu, alles als im Prinzip gleichwertig darzustellen – ob nun das Fliegende Spaghettimonster den Jet abgeschossen hat, die bösen faschistischen Ukrainer, oder ob es die angesichts der bis jetzt vorliegenden Beweislage naheliegendste Version ist, nämlich jene vom Abschuss aus Versehen durch die pro-russischen Milizen, womöglich auch durch einen russischen Bedientrupp dieser Luftabwehrtechnik.
Und genau dieselbe Desinformationstaktik sehen wir auch bei der Wortwahl zum “Massaker” auf dem Majdan, wo flugs auch mal schnell beiden Seiten (Demonstranten und Staatsgewalt) dieselbe Opferzahl zugeschrieben wird. Hier sehen wir das manipulative Motiv von den angeblich gleichwertigen Streitparteien, die – natürlich offensichtlich auch gleichwertig bewaffnet und, wie Schreyer mehrmals betont, mit gleichwertigem Unterstützer-Hintergrund ausgestattet – hinter den einen standen eben die USA, hinter den anderen Russland – in einem Konflikt gestanden hätten. Das führt dann zu der Schlussfolgerung, dass die neue Regierung in Kiew genau so viel Unrecht auf sich geladen habe wie die alte, dass sie folglich mindestens genauso wenig legitim sei wie die alte – wenn nicht noch viel weniger, denn sie wurde ja durch einen “gewaltsamen Putsch” und von einer ausländischen Macht installiert.

Ich muss Herrn Schreyer zugestehen – all das ist geschickt gemacht; und der redliche und engagierte Boris Reitschuster kam so richtig nicht gegen diesen glatten und auf sachlich getrimmten Gegner an, was aber auch damit zu tun hatte, dass der Moderator vor allem Schreyer das Wort gab.

In der Bilanz: Wenn man sich die Mühe der Analyse macht – eine beispielhafte Mikrostudie zur Macht der Sprache und der unterschwelligen Manipulation. Und zwar Manipulation durch die schleichend sich bei uns etablierende softpower des angeblich ja irgendwie verständlichen und menschlichen russischen Regimes, das fälschlicherweise immer als der Böse dasteht, damit wir Westler uns gut fühlen können – so Schreyer.

Nur in einer Sache stimme ich Paul Schreyer vollumfänglich zu: Putin und seine Entourage aus den Macht- und Geheimdienststrukturen sind rationale Leute. Richtig. Und sie nutzen ihr Instrumentarium tiefengestaffelt, zielgenau und zielangepasst. Die Ziele im Donbas werden mit Panzern und Haubitzen anvisiert, und für die einfach gestrickten Proletenköpfe dortzulande, so meint der Kreml, reicht auch die grobkörnige sogenannte antifaschistische Propaganda. Gleichwohl sind diese Territorien für Russland noch nicht erobert. Ziele wie der Kopf des Herrn Schreyer jedoch sind es bereits – obowohl ich mir nicht sicher bin, ob Herr Schreyer nicht eher ein Instrument und kein Ziel ist.

wendlandAutorin: Anna Veronika Wendland, Historikerin am Herder-Institut, Marburg

Quelle: AnnaVero Wendland Facebook

 

 

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