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Die Rückkehr der Krim zu Russland bewirkt, dass die Tataren um ihre Zukunft fürchten

The Moscow Times – über Reuters – 19.3.2014 (deutsche Übersetzung)

Mustafa Asaba, lokaler Anführer der Krimtataren, sitzt in einem Wohnzimmer eines Freunds in Bilohirsk (Belogorsk).
Foto: Thomas Peter / Reuters

Unter den Stimmen, die von den Siegesfeiern auf der gesamten Krim nach der Entscheidung, die Ukraine zu verlassen und sich Russland anzuschließen, übertönt wurden, waren die der Tataren, einer Minderheit, für die die Aussicht auf eine Rückkehr unter Moskauer Herrschaft nur Angst und Unsicherheit mit sich bringt.

Die sunnitischen Muslime türkischer Herkunft betrachten die Krim als ihre Heimat, und ihre Deportation nach Zentralasien durch die sowjetischen Streitkräfte im Zweiten Weltkrieg und die vorhergehende Unterdrückung durch Stalin bewirkt, dass sie sich in der Ukraine viel wohler fühlten.

Jetzt müssen sie sich damit abfinden, gegen ihren Willen in ein modernes Russland katapultiert worden zu sein, trotz ihres Boykott der Volksabstimmung am Sonntag, bei dem 97 Prozent der Wähler in der mehrheitlich russischsprachigen Region angeblich Kyiw abgelehnt haben.

Die Tataren machen 12 Prozent der Bevölkerung von insgesamt zwei Millionen Menschen auf der Schwarzmeer-Halbinsel aus – und ihr Protest war nicht stark genug, um das Ergebnis einer Abstimmung zu ändern, die die Ost-West-Beziehungen auf ihren niedrigsten Stand seit dem Kalten Krieg gebracht hat.

“Warum will ich nicht Teil von Russland sein?” fragte Mustafa Asaba, ein regionaler Anführer der Krimtataren .

“Die russische Regierung ist unberechenbar, weil an der Spitze ein Diktator sitzt”, sagte er mit Bezug auf Präsident Wladimir Putin, der die Annexion der Krim gewollt und durchgeführt hat und mit diesem Vorgehen Europa und die USA aufgeschreckt hat.

Am Mittwoch schien Putin den Tataren Zusicherungen geben zu wollen, dass sie nicht diskriminiert würden, als er sagte, Tatarisch werde eine der drei Amtssprachen auf der Krim sein.

Aber Asaba, der einen traditionellen schwarzen Wollhut trägt, befürchtet dennoch, dass pro-russische Agitatoren auf der Krim mit “Provokationen” vorgehen, um die Identität der Tataren zu schwächen, nämlich durch die Beschränkung ihrer Sprache, Kultur und Religion.

“Wir haben immer die Meinungsfreiheit genossen … und ich denke, dass wir Widerstand leisten werden, wenn sie uns unterdrücken,” sagte er gegenüber Reuters im Hause eines Freundes in der windigen Stadt Bilohirsk (Belogorsk), 50 Kilometer östlich der Krim-Hauptstadt Simferopol.

“Es wird Prozesse und Gefängnisstrafen geben. Nichts Gutes wird dabei herauskommen.”

Der untersetzte 58-Jährige wurde in Usbekistan geboren, wohin seine Familie nach der Deportation von 1944 verbannt war – als Strafe dafür, dass Tataren in Sondereinheiten der Nazis gegen die Sowjets gekämpft hatten.

Viele Tataren dienten auch in der Roten Armee, aber als die sowjetischen Truppen die Schwarzmeer-Halbinsel zurückerobert hatten, bestrafte Stalin die gesamte tatarische Bevölkerung, indem er sie in Eisenbahnviehwaggons lud und zwang, ein Leben im Exil zu verbringen.

Viele starben an Krankheiten oder Hunger, und die Tataren durften erst unter Michail Gorbatschow in den 1980er Jahren wieder auf die Krim zurückkehren.

Schlimme Zeiten

Die Krimtataren, die bisher keine Angst hatten, auch in der Krise ihre Ansichten zum Ausdruck zu bringen, stützen sich auf die Strapazen der Vergangenheit um sich zu stählen für das, was sie an schlimmen Zeiten in der Zukunft erwarten wird.

“Wenn das Worst-Case-Szenario [Beitritt zu Russland] kommt – und wir hoffen immer noch, dass es nicht dazu kommt – denke ich, dass unsere Menschen schon schlechtere Zeiten durchgemacht haben, einschließlich der Deportation und der Wohnbedingungen unter Ausgangssperre in Usbekistan,” sagte Asaba.

Er glaubt, dass nur eine kleine Anzahl von Tataren die Krim verlassen wird, wo es jetzt danach aussieht, dass sie ein Teil von Russland wird – ein Prozess, der noch formal abgeschlossen werden muss.

“Ich denke, 95 Prozent der Tataren werden unter egal welchen Bedingungen hier bleiben, weil die Krim unsere Heimat ist. Es gibt keine andere.”

Ein Krimtatare beim Holzmachen in seinem Garten in Bilohirsk (Belogorsk) bei Simferopol.

Foto: Thomas Peter / Reuters

Aber auch sein tapferes Gesicht kann die echte Angst unter den Tataren nicht verbergen, dass unter der russischen Herrschaft ihre Freiheiten beschnitten werden könnten.

In einem Laden am Ende eines mit Schlaglöchern übersäten und von bescheidenen Bungalows gesäumten Feldwegs in Bilohirsk (Belogorsk) sagt die Ladenbesitzerin Niyara, die ihren Familiennamen nicht nennen wollte, die Leute hätten Nahrungsmittel auf Vorrat gekauft.

“Die Menschen sind wirklich besorgt,” sagte sie. “Ich habe ein Kind, und ich selbst habe Angst.”

Niyara befürchtet, dass die russischen Krimbewohner nun versuchen würden, den Tataren das Eigentum wegzunehmen, wenn sie glauben, dass es ihnen gehört.

“Viele unserer Häuser sind nicht amtlich gemeldet, und die russischen Vorschriften für diese Art Dinge sind sehr, sehr streng.”

Die Krim ist seit einigen Wochen unter der Kontrolle von russischen Truppen, nachdem Moskau Tausende Soldaten geschickt hatte, angeblich um die Russen vor den sogenannten “Faschisten” in Kyiw zu schützen, die den moskautreuen Präsidenten Wiktor Janukowytsch gestürzt hatten.

Die ukrainische Übergangsregierung und die westlichen Politiker weisen diese Rechtfertigung als Unsinn zurück. Die militärische Besatzung und die Bildung von unbewaffneten Gruppen von Freiwilligen, die Routine-Sicherheitsaufgaben übernommen haben, geht einher mit einem Anstieg von körperlichen und verbalen Drohungen gegen die Tataren.

Wie die Tataren auch, haben die russischen Nationalisten ein langes Gedächtnis und erinnern sich bis heute daran, dass das Krim-Khanat, in dem die Tataren vom 15. bis ins 18. Jahrhundert herrschten, berüchtigt war für die Versklavung christlicher Slawen und deren Verkauf in das Osmanische Reich.

Die ansehnliche Tataren-Gemeinde in Bilohirsk (Belogorsk) hat unbewaffnete Patrouillen organisiert, um die militärischen Standorte in der Umgebung zu überwachen und um auf  ungewöhnliche Ereignisse, die eine Gefahr darstellen könnten, eingerichtet zu sein.

Refat Tschubarow, der Krimtataren-Führer, der die Kampagne zum Boykott des Referendums angeführt hat, sagte Reportern am Montag, dass das Schicksal von mehreren Dutzend Tataren nach wie vor unbekannt ist, nachdem sie in der letzten Woche verschwunden sind.

Verschwunden sind auf der Krim in den letzten Monaten auch Menschenrechtsaktivisten, Einzelpersonen, die mit den Protesten auf dem Maidan in Kyiw, durch den Janukowytsch gestürzt wurde, in Verbindung gebracht werden, sowie Journalisten.

Die Leiche eines etwa 30 Jahre alten Tataren, dessen Namen Tschubarow mit Reschat Ametow angibt, wurde diese Woche gefunden, nachdem er am 3. März verschwunden war, und nach Tschubarows Aussage starb er auf Grund von Gewaltanwendung. Seine Beerdigung findet am Dienstag statt.

Die Behörden locken

Die pro-russischen Behörden der Krim haben gesagt, dass sie eine tatarische Vertretung in der lokalen Regierung gewährleisten und stellen der Gemeinschaft korrekte Grundbesitzbescheide  und finanzielle Hilfe in Aussicht.

Sowohl Tschubarov als auch Asaba haben über die Gründung einer Form von Autonomie für die Tataren auf der Krim diskutiert, obwohl die Gespräche noch in den Kinderschuhen stecken.

Sergei Aksjonow, der Führer der separatistischen Behörden der Krim, deren Wahl Kyiw nicht anerkennt, sagte kürzlich in einem Interview, dass das für die Tataren in diesem Jahr zur Verfügung stehende Geld verdoppelt werden würde.

“Es gibt keine ethnischen oder religiösen Konflikte, und wir werden solche niemals zulassen,” sagte Aksjonow gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters.

Es überrascht nicht, dass die Tataren Aksjonow mit tiefem Misstrauen betrachten.

“Aksjonow ist unzuverlässig, er ist ein Separatist,” sagte Lenura Asanowa , eine ältere Frau in der tatarischen Gemeinde Bilohirsk (Belogorsk). “Russland steht hinter ihm.”

Asaba warnte Putin, dass sein aggressives Vorgehen auf der Krim nach hinten losgehen könnte. .

“In fünf Jahren wird der gleiche Maidan in Russland passieren,” sagte er. “Das ist es, wovor er Angst hat. Vor einem Jahr hätte niemand gedacht, dass irgend jemand Wiktor Janukowytsch stürzen könnte. Niemand.”

Quelle: http://www.themoscowtimes.com/news/article/crimeas-return-to-russia-leaves-tatars-fearful-of-future/496427.html       

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