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Nirgendwo in der Welt bin ich so einer dreisten und schamlosen Korruption begegnet, wie in der Ukraine – Yitzchak Adizes

Vor kurzem veröffentlichte Yitzchak Adizes – einer der berühmtesten modernen Business-Denker – in seinem Blog einen Beitrag, in dem er die Situation in der Ukraine analysiert.

Ich war mehrmals in der Ukraine und habe dort Vorträge gehalten. Von einigen Universitäten dort habe ich Ehrendoktorwürden verliehen bekommen. Meine Bücher und Artikel sind dort erschienen. Ich habe mit Eigentümern und Top-Managern ukrainischer Unternehmen gearbeitet. Aber ich muss gestehen: bei all meiner Erfahrung, gesammelt auf der ganzen Welt, habe ich noch nirgendwo eine so dreiste, offene und schamlose Korruption erlebt, wie in der Ukraine

Bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Ich weiß, dass Korruption allgegenwärtig ist. Sogar in den USA. Sogar in meiner Stadt. Wenn Sie eine Baugenehmigung für ein Haus in Santa Barbara brauchen, kann über ein Jahr vergehen, bevor sie durch alle bürokratische Strukturen durch ist. Deshalb schalten Sie einen Vermittler ein, der einst im Department für Stadtplanung gearbeitet hat und alle Wege und Stege dort kennt. Er nimmt Ihren Fall in Angriff, um alles zu „beschleunigen“ und gegen eine bestimmte Bezahlung alles so zu arrangieren, dass Sie Ihre Baugenehmigung auf jeden Fall schneller, als erst nach einem Jahr bekommen.

Das ist Korruption, wenn Sie mich fragen… obwohl viele der Meinung sind, dass genau so Geschäfte laufen sollten.

Natürlich gibt es Korruption in jedem Land. Sie begegnen ihr in Israel, in Indien und Brasilien. Nennen Sie irgendein Land und schon stellen Sie fest, dass auch in diesem Land Anzeichen von Korruption vorhanden sind. Aber die Ukraine ist eine ganz anderer Fall. Was die Natur und Maßstäbe der Korruption anbelangt, hat dieses Land einen richtigen Paradigmenwechsel durchgemacht. Es gab einen gigantischen Sprung auf einen ganz neuen Level der Korruption, die Ukraine hat es auf diesem Gebiet ganz nach vorne  gebracht.

Ich habe gehört, obwohl ich das nie überprüft habe, dass man sich in der Ukraine sogar ein Arztdiplom kaufen kann. Eine Bestechung würde dafür reichen. Dasselbe gilt auch für Juradiplome und viele andere.

Aber stellen Sie sich das mal vor – Sie suchen einen Arzt auf, haben aber keine Ahnung, ob dieser „Spezialist“ wirklich studiert hat oder einfach seine Qualifikation gekauft hat. Das ist für mich ein Albtraum, ein absoluter Vertrauensverlust.

Aber damit wäre es noch nicht getan. Regierungsbeamte würden es nie zulassen, dass Sie Ihr Geschäft betreiben, wenn Sie nicht für das entsprechende Schutzgeld sorgen; in diesem Fall geht es um den Schutz vor den Beamten selbst. In gewisser Weise funktioniert dieses System wie die Mafia. Wenn sie nicht monatlich oder jährlich beträchtliche Summen zahlen, wird der Staat Ihnen einfach Ihr Geschäft wegnehmen. Es kann verstaatlicht werden oder Ihre Lizenz kann entzogen werden. In manchen Fällen kann man auch gleich das ganze Eigentum einbüßen.

Während meines letzten Besuches in der Ukraine kam nach einer Vorlesung der Leiter eines der größten Unternehmen des Landes auf mich zu und erzählte mir die Geschichte einer westlichen Bank, die ihre Investitionen in der Ukraine verlor.

Diese Mittel wurden als Kredite vergeben – entweder an staatliche Unternehmen oder an Unternehmen, die Geschäftsleuten gehörten, die den Machthabern nahestehen, oder deren Eigentümer die Regierungsbeamten selbst waren.

Die ganze Situation ist an sich schon sehr fraglich, aber in der Ukraine ging man gleich noch einen Schritt weiter: Die Kredite wurden einfach nicht zurückgezahlt.

Vor Gericht zu gehen hat keinen Sinn: alle Gerichte sind korrupt und werden quasi direkt aus der Regierungszentrale gelenkt.

Als die Bank keine Möglichkeit mehr sah, ihre Kredite zurückzubekommen, bot sie ihr Filialnetz in der Ukraine zum Verkauf an. Für jeden investierten Dollar sprangen gerade mal zehn Cent raus. Die Verluste beliefen sich auf Milliarden von Dollar. Interessant ist aber, wer das Filialnetz erworben hat. Es waren Mitglieder der Präsidentenfamilie.

Es gibt auch eine andere Variante dieses Schemas: Die Regierung finanziert Banken, damit sie Kredite an die Wirtschaft bereitstellen. Banken gewähren Kredite an Unternehmen, die Beamten gehören, die Entscheidungen über die Finanzierung getroffen haben.  Die Unternehmen zahlen diese Kredite nicht zurück. Die Banken gehen pleite, der Staat verliert das Geld, das auf den Konten der kreditierten Unternehmen landet, also quasi in die Taschen der Beamten fließt.

Das ist doch ein perfektes Schema, oder? Niemand muss sich verstecken. Alle wissen von allem Bescheid.

Die Offenheit, mit der sich regierende Politiker auf Kosten des eigenen Volkes bereichern, ist schwer zu begreifen. Alle, die es können, schaffen ihre Aktiva außer Landes und kein vernünftiger Mensch ist bereit, heute in der Ukraine zu investieren. Die Ukraine geht ihren Weg in den Bankrott. Sie ist schon quasi bankrott.

Was tun?

Diese Frage stellte mir einer der klügsten Menschen der Ukraine, dessen Namen ich selbstverständlich nicht nenne.

Ich antwortete mit einem Sprichwort: „Der Fisch beginnt am Kopf zu stinken, man entschuppt ihn aber vom Schwanz her“.

Anders gesagt: die Korruption beginnt bei den Staatsoberhäuptern. Sie sind diejenigen, die die Spielregeln bestimmen. Sie koordinieren diese Parade und sind der Grund für diese schreckliche Sachlage. Also bedienen wir uns der klassischen Logik, die uns sagt, dass wir die Menschen an der Staatsspitze ersetzen müssen, um eine Veränderung der Situation zu erreichen.

Sehr gut. Aber wer wird sie austauschen? Von selbst werden sie nicht gehen.

Leider ist es auch nicht möglich durch demokratische Verfahren die korrupten Staatsmänner zu ersetzen. Diejenigen, die die Macht haben, würden die Wahlen einfach fälschen.

Sanktionen von außen funktionieren auch nicht. Durch Sanktionen  würden die korrupten Staatsführer nur noch reicher, denn sie sind es, die den Schwarzmarkt für die wichtigsten Waren kontrollieren. Man munkelt, dass Milosevic durch Benzinimporte über die serbische Grenze, in der Umgehung aller Sanktionen, mehrere Milliarden Dollar verdient hat. Er war quasi der einzige Brennstofflieferant und verdiente sich dabei eine goldene Nase.

Also gibt es nur eine einzige Lösung: den Fisch vom Schwanz her zu entschuppen. Die Menschen müssen ihren Protest laut äußern. Sie dürfen keinen Rückzieher machen – selbst wenn es Menschenleben kostet, müssen sie bis zu ihrem Sieg durchhalten. Sie müssen „Es reicht!“ rufen und auf die Straßen gehen. Auf die Barrikaden. Auf die Bastille.

In Davos, wo ich vor kurzem an einer Paneldiskussion teilgenommen habe, wurde mir gesagt, dass der ukrainische Präsident damit gedroht hat, Feuer auf die Demonstranten zu eröffnen, wenn sie nicht mit dem Protest aufhören.

Ich habe nur gesagt, dass ich sehr hoffe, dass er das tut. Allen, die im Raum waren, fiel ihre Kinnlade herunter vor Verwunderung.

Aber die Erschießung von Demonstranten, Bürgern des eigenen Landes, würde die Menschen richtig wütend machen und ihre Entschlossenheit verfestigen, diesen Präsidenten samt seiner Sippe zu stürzen. So ähnlich wie die Rumänen sich von Ceausescu befreit haben.

Damit es besser wird, muss es erst einmal viel schlechter werden.

Mit dem Wechsel der Machthabenden ist es aber noch nicht getan. Es ist lediglich der erste Schritt in Richtung Regeneration des gesamten Systems. Er reicht aber nicht aus. Sie können den Kopf abschlagen, aber der restliche Körper bleibt infiziert.

Die Ukraine braucht neue Menschen an der Spitze, die mit der Korruption nichts zu tun haben und hoffentlich, mit Gottes Hilfe, wird das neue Regime sich keine alten Kleider zulegen. Sonst wird das Land endgültig allen Mut verlieren… und dann fließt nicht nur das Geld aus der Ukraine. Alle werden fliehen, die sich noch bewegen können. (Vielleicht ist es sogar gut, dass die Ukraine noch nicht zur EU gehört. Wenn die Ukrainer das Recht hätten, sich frei in Europa zu bewegen, wäre das Land durch den Brain Drain schnell leer. Alle, die noch etwas Hirn besitzen, würden verschwinden.)

Es ist wichtig zu begreifen, dass das Ziel der Proteste nicht einfach die Befreiung des Landes von der korrupten Staatsspitze sein darf. Man muss sich auf jeden Fall vergewissern, dass die neue Staatsspitze nicht korrupt ist. Die neue Führung der Ukraine muss ebenso begreifen, dass zu ihren Prioritäten das „Großreinemachen“ im Haus gehört und als erste Handlung in diesem Zusammenhang die Korruption endgültig beseitigt werden muss.

Einfach ist das nicht.

Ich bin überzeugt, dass die Bürokratie der Hauptgrund für die Korruption ist. Ein jüdisches Sprichwort besagt: „Ein Loch im Zaun ist eine Einladung an die Diebe“. Alle Schwellenländer begegnen großen Problemen, die die Entstehung solcher „Löcher“ hervorrufen. Die Bürokratie entsteht. Aber Menschen sind nun mal Menschen und manche von ihnen sind zu schwach, um der Versuchung zu widerstehen und die „Einladung“ abzulehnen, das „Loch im Zaun“ zu benutzen. So entsteht die Korruption.

Die neue ukrainische Regierung – wenn es sie gibt – muss das System umgestalten. Alle „Löcher“ müssen geschlossen werden und ein transparenter Regierungsstil muss zum Gebot der Stunde werden. Entscheidend wird es sein, die Bürokratie zu transformieren, und nicht nur die diejenigen zu bestrafen, die weiterhin Bestechungsgelder annehmen. So wurde das in Georgien vor 10 Jahren gemacht. So wird es heutzutage in Mazedonien gehandhabt.

Das kann man tun. Das sollte man tun. Das muss man tun.

Ich bete dafür, dass es gelingt.

Yitzchak Adizes

Quelle: http://www.ichakadizes.com/the-ukraine-uprising-analysis/

Übersetzung: Lesya Yurchenko

Lektorat: Tobias Weihmann

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